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Bertrands
Schachtelparadoxon oder "die Magie der
Information"
Im Spektrum 11/1991 wird in
einem Artikel über "Mathematische
Unterhaltungen" ein Problem diskutiert, das kurz
zuvor in Amerika von Marily vos Savant gestellt
worden war und sehr viel Wirbel verursacht
hatte.
Das Problem lautete
folgendermaßen:
Ein Kandidat in einer
Fernseh-Show soll raten, hinter welcher von 3
Türen sein Hauptgewinn versteckt sei. Nachdem
dieser Kandidat gewählt hat, öffnet der
Showmaster eine der anderen Türen und zeigt
ihm, daß diese andere Tür eine Niete
enthält und bietet dem Kandidaten nun an,
seine Entscheidung zu revidieren.
Das Frappierende daran ist,
daß Marilyn vos Savant behauptet, daß
der Kandidat mit doppelter
Erfolgswahrscheinlichkeit rechnen kann, wenn er
seine Meinung ändert, als wenn er auf seiner
ursprünglichen Entscheidung
beharrt.
Diese Behauptung war derart
verblüffend, daß Marilyn vos Savant
Tausende von Leserbriefe erhielt, die sie zum Teil
höchst emotional beschimpften, sie als Mensch
mit dem höchsten bekannten IQ solle sich
schämen, solch einen Unverstand zu
unterstützen oder ob sie als Frau mathematisch
anders denken würde als ein Mann. Fast alle
Briefe jedenfalls waren nicht der von Marilyn vos
Savant vertretenen Ansicht, 92% aller
wissenschaftlich nicht vorgebildeten
Leserbriefschreiber und immerhin noch 65%
derjenigen, die Hochschulen angehörten. Der
Autor dieses Artikels im Spektrum, Ian Stewart,
weist jedoch fast vergnügt darauf hin,
daß sowohl Computerprogramme mit
zehntausenden von Versuchsfällen als auch
Lehrbücher über bedingte
Wahrscheinlichkeit Marilyn vos Savant recht gegeben
hätten. Marilyn vos Savant selbst meinte auf
die Hinweise, wieviele Mathematiker doch anderer
Meinung als sie selbst seien, nur lakonisch:
"Lösungen mathematischer Probleme werden nicht
durch Abstimmung entschieden."
Abgesehen von der Tatsache,
daß sich hier auch sehr viele hochdekorierte
Mathematiker höchst unflätig benahmen,
als würden sie sich wie Schimpansenkönige
mit rabiatem Verhalten die Unterwerfung der
Untertanen sichern wollen, ist der Einwand,
daß sich soviele Mathematiker nicht irren
können, völlig berechtigt. Zwar kann er
nicht als Indiz für die Richtigkeit der von
vielen behaupteten Schlüsse dienen, da ist
Marilyn vos Savant nur zuzustimmen, aber es ist
doch davon auszugehen, daß diese vielen
Mathematiker einen gesunden Durchschnittstypen
ergeben. Und dieser gesunde Durchschnittstyp ist
mit unseren naturwissenschaftlichen und technischen
Mitteln sehr wohl in der Lage, durchschnittliche
Ergebnisse zu liefern und die sollten sich
überwiegend um einen korrekten Mittelwert
sammeln. Dies ist der Hintergrund des Argumentes,
das soviele Mathematiker nicht irren können.
Unsere Kultur würde nicht funktionieren, wenn
es anders wäre, wenn der Durchschnitt, der nun
mal die Masse aller Arbeitskräfte ausmacht,
nicht ausreichen würde für Erfolge und
wenn alltägliche mathematische Arbeit nur von
Genies wie Marilyn vos Savant geleistet werden
könnte.
Die Information, die diesem
Einwand zu entnehmen ist, ist also nicht unbedingt
die Dummheit der sich irrenden Mathematiker,
sondern ein Hinweis darauf, daß sie ein
Werkzeug benutzten, das dem Problem nicht
entgegenkam. Auch die Begründung für die
Lösung dieses Rätsels,
Informationsverwendung oder
Reihenfolgenabhängigkeit, spricht dieselbe
Sprache.
Doch gehen wir noch einmal zu
dem Rätsel zurück.
Vor dem Kandidaten liegen
also drei völlig gleiche Türen, von denen
er nur weiß, daß hinter einer einzigen
der Hauptgewinn liegt. Da sonst nichts weiter
bekannt ist, hat der Kandidat also eine Chance von
1/3, wenn er eine der Türen
wählt.
Ihm gegenüber steht der
Showmaster, der sehr wohl weiß, hinter
welcher Tür der Hauptgewinn steckt, es aber
unter keinen Umständen verraten darf. Er hat
aber die Möglichkeit, eine nicht der
Lösung entsprechende Information zu geben.
Für ihn gibt es also keine Unsicherheit, nur
eine Reaktion auf die Wahl des
Kandidaten.
Die Behauptung ist nun,
daß dieser indirekte Hinweis bedeutsam genug
ist, daß ein Wechsel der Wahl die Chancen
verdoppelt. Als Stein des Anstoßes erwies
sich dabei die Tatsache, daß die Chance
für die gewechselte Wahl natürlich auch
nur 1/3 sein konnte - wenn eben die Voraussetzung
gültig gewesen wäre, daß nichts
weiter bekannt sei.
In der Sprache der
Informationsmathematik sind diese 3 gleiche
Türen also 3 gleiche Eigenschaften "e". Der
Wertebereich der Eigenschaft "e" ist bekannt und
lautet
W(e|w) = {unbekannt, Niete,
Gewinn}
die Wertänderungen der
Eigenschaften sind damit die Wertänderung auf
"Niete" und die Wertänderung auf "Gewinn",
also 2 Transformationen
X (e| unbekannt) = e|Gewinn
X'(e| unbekannt) = e|Niete
Es ist jedoch nicht allein
eine Eigenschaft interessant, sondern eine
Profilschablone, die aus 3 dieser Eigenschaften
besteht: P = (e1, e2, e3) mit ei = e. Diese
Profilschablone ist bedingt, das heißt,
daß nicht alle Transformationen in allen
Kombinationen möglich sind. Dabei liegen zwei
Bedingungen vor:
Die Transformationen X, X'
sind abhängig in der Form, daß
aus
X (ei| unbekannt) = e|Gewinn
==> X'(e'| unbekannt) =
e|Niete
für e' <> ei
folgt.
Weiter ist die Transformation
X auf der Schablone zwingend, das heißt,
hinter einer der Türen muß sich
tatsächlich der Hauptgewinn
befinden.
Es ergeben sich also drei
Profile für den tatsächlichen Zustand,
die 3 möglichen Zuordnungen für die
Profilschablone
1) (Gewinn, Niete, Niete)
2) (Niete, Gewinn, Niete)
3) (Niete, Niete, Gewinn)
Vom Standpunkt der
Informationsmathematik ist also nun eine
P-Transformation von dem ursprünglichen
Zustand (unbekannt, unbekannt, unbekannt) auf diese
3 Profile durchzuführen. Eine P-Transformation
setzt sich aus den Transformationen der
Einzeleigenschaften zusammen unter
Berücksichtigung von Bedingungen, wobei auch
die Beibehaltung des Wertes gültig
ist.
Das heißt, daß
die gesamte Transformation durch einzelne Schritte
durchgeführt werden kann.
Ausgangspunkt: (unbekannt,
unbekannt, unbekannt)
1. P-Transformation,
beginnend mit der Eigenschaft e1
Transformation X, unter
Berücksichtigung der
Abhängigkeit
==>
(Gewinn, Niete,
Niete)
1 Schritt führt zu
einem genau bestimmten Zustand.
2. P-Transformation,
beginnend mit der Eigenschaft e1
1. Schritt, Transformation
X', keine weiteren Informationen
==>
(Niete, unbekannt,
unbekannt)
2. Schritt: 2. Eigenschaft,
Transformation X unter Berücksichtigung der
Abhängigkeit
==>
(Niete, Gewinn,
Niete)
2. Schritt: 2. Eigenschaft,
Transformation X', unter Berücksichtigung der
zwingenden Transformation X
==>
(Niete, Niete,
Gewinn)
2 Schritte führen zu
einem genau bestimmten Zustand.
Wegen der Symmetrie des
Problems sind die Transformationen der anderen
beiden Eigenschaften ganz analog zu betrachten. Es
zeigt sich also, daß beim 2. Schritt immer
Gewißheit über den Zustand herrscht.
Mehr als zwei Schritte sind nicht nötig, um
alle drei Eigenschaften vom Wert "unbekannt" auf
einen Wert "Niete" oder "Gewinn" zu ändern,
aber ein einziger Schritt zur Erstellung eines der
Profile allein ist nur dann möglich, wenn die
Transformation X auf die entsprechende Eigenschaft
durchgeführt wird.
Diese 6 Transformationen
sollen nun vom Kandidaten zielgerichtet benutzt
werden, er soll also in einem einzigen Schritt das
richtige Profil finden, was seine Wahl auf 3
Transformationen beschränkt. Er hat jedoch nur
die Möglichkeit der blinden Wahl. In einem
einzigen Schritt die Lösung zu finden,
heißt damit, die richtige Position der
Eigenschaft zu raten und dann die Transformation X
durchzuführen. Da der Gewinn hinter allen drei
Türen liegen kann, liegt seine Chance also bei
1/3.
Der Showmaster indessen kennt
das richtige Profil, das er nicht verraten darf,
auf das er aber Hinweise geben darf. Seine
Strategie ist also, der gesuchten Lösung des
Kandidaten auszuweichen, ohne falsche Angaben zu
machen, er hat also die Wahl unter 5
Transformationen, weil die gesamte Anzahl der 6 um
die gesuchte richtige Transformation für den
Kandidaten reduziert werden muß.
Nun wählt der Kandidat,
seine Wahl wird aber noch nicht ausgeführt,
dh. die Transformation, die er bevorzugt, wird
nicht durchgeführt, noch liegt das Profil
(unbekannt, unbekannt, unbekannt) vor.
Jetzt zeigt ihm der
Showmaster eine andere Tür mit einer Niete, er
führt also eine Wertveränderung durch,
das heißt, daß im nächsten Schritt
Sicherheit auf die eine oder andere Art bestehen
wird. Durch die Wertänderung hat er dabei
seine Wahl von 5 Transformationen erneut reduziert,
denn die Transformation, die X im ersten Schritt
auf genau die von ihm bezeichnete Tür
durchführen würde, fällt nun auch
weg, es liegen also nur noch 4 von 6
Transformationen vor.
Stellen wir uns vor, der
Kandidat hätte, wie in obigem
Transformationen-Beispiel, die erste Tür
gewählt, damit also das Profil (Gewinn, Niete,
Niete) als das Zutreffende ausgesucht.
Der Showmaster öffnet
zum Beispiel die 2. Tür mit einer Niete, das
Profil ist also nun
(unbekannt, Niete,
unbekannt)
Dies paßt zu dem vom
Kandidaten gewählten Profil - aber es
paßt nicht zur Strategie des Kandidaten, denn
der Showmaster muß eine der 4 verbliebenen
Transformationen wählen, die nicht beim ersten
Schritt bereits die Lösung erlaubt, weil er
nichts Positives verrraten darf, dafür hat er
eine Chance von 2/3 hinsichtlich des korrekten
Profils, da jedes Profil nur dann mit einem Schritt
erstellt werden kann, wenn die Transformation X auf
die richtige Position der Eigenschaft
durchgeführt wird, aber mit 2 Schritten sicher
erreicht wird, wenn X nicht bereits im ersten
Schritt durchgeführt wird.
Der Kandidat weiß also
nun folgendes:
1) es gilt: (unbekannt,
Niete, unbekannt)
2) seine Wahl: (Gewinn,
Niete, Niete), hat die Chance 1/3, nach dem 1.
Schritt erfolgreich zu sein
3) die Chance, daß dies
NICHT die Transformation ist, die mit einem
einzigen Schritt die Lösung liefert, ist 2/3
4) das Profil (Niete, Gewinn,
Niete) ist ausgeschlossen
das heißt, wenn er
seine Meinung ändert und den 2. Schritt
vollzieht, wie er in der obigen Transformation Nr.
2 beschrieben ist, also seine Wahl (Gewinn, Niete,
Niete) mit der Chance 1/3 aufgibt, um die
Transformation Nr. 2 des Showmasters
weiterzuführen, übernimmt er auch die
Chance des Showmasters auf 2/3. Und da er auch
weiß, welches Profil er nicht wählen
kann, hat er nur noch die Möglichkeit, genau
das Profil (Niete, Niete, Gewinn) zu wählen,
also seine Meinung zu revidieren.
Oder mit anderen Worten:
für das Problem, das richtige Profil zu finden
in einem Schritt, gibt es nur einen Weg, das
richtige Profil mit 2 Schritten zu finden, kann
aber auf 2 Arten geschehen bei insgesamt 3 Wegen,
das besagte Profil aus dem unbekannten Zustand zu
erzeugen, sind also sowohl die Wahrscheinlichkeit
1/3 für die erste Wahl als auch von 2/3
für die revidierte Wahl unter Ausnutzung des
ausgeschlossenen Profils ersichtlich.
Dieses Rätsel, bereits
1889 von Joseph Bertrand beschrieben, ist also ein
sehr schönes Beispiel für die Natur der
Information. Wobei es noch einen weiteren,
wesentlichen Punkt unterstreicht. Dieses Problem
ist symmetrisch, die Betrachtung ändert sich
nicht, ob der Gewinn hinter Tür 1, Tür 2
oder Tür 3 verborgen liegt.
Was nun für die
übliche Mathematik nicht der Rede wert ist,
ist für die Informationsmathematik von
substantieller Bedeutung, denn P-Transformationen
sind als Folgen von einzelnen Transformationen
definiert, die also eine klar definierte
Reihenfolge aufweisen. Die Frage, wie eine
abhängige Transformation auf ein Folgenglied y
< x des Folgenglieds x mit der die
Abhängigkeit verursachenden Transformation
beschrieben werden kann, ist demnach sehr wohl der
Rede wert und legt interessante Schlüsse
über die Eigenständigkeit von
Profilschablonen nahe, die Assoziationen an die in
jüngster Zeit diskutierte "Eigenzeit" von
Objekten erlauben.
Wie jedes Paradoxon hat
auch dieses eine fundamentale Moral:
jegliche Information, die ein
zu betrachtendes System aus Eigenschaften und
Wechselwirkungen betrifft, steigert die
Erfolgswahrscheinlichkeit der Prognose über
das Verhalten dieses Systems oder mit anderen
Worten, nichts, was Klarheit über ein Problem
verschafft, ist untauglich zum Verständnis und
damit zur Vorhersage, auch wenn es überhaupt
nicht einsichtig ist, wie es mit einer besonderen
Fragestellung zusammenhängt.
Oder ganz einfach
gesagt:
Jede Information
nützt zum Verständnis ihres
Systems.
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